Mehrere Sichten auf den Umweltschutz
Ein Beitrag aus „Dütt und Datt“ (Spelle, April 2020) und eine Reaktion darauf.
„Umweltschutz kannten wir nicht“
Beim Bezahlen an der Kasse im Supermarkt schlägt die Kassiererin der vor ihr stehenden alte Dame vor, beim nächsten Einkauf ihre Einkaufstasche mitzubringen, denn Plastiktüten seien schlecht für die Umwelt.
„Da haben Sie ja Recht“, entschuldigt sich die alte Dame, „doch leider war ich in Eile und habe sie entgegen meiner Gewohnheit zu Hause vergessen.“ Die junge Frau erwidert: „Ja, wissen Sie, unser Problem ist nämlich, dass Ihre Generation sich keine Gedanken darüber gemacht hat, in welch schlechtem Zustand man uns und den zukünftigen Generationen die Umwelt hinterlässt. Umweltschutz ist sicherlich ein Fremdwort für Sie.“
„Das stimmt. Unsere Generation kannte keinen Umweltschutz – war auch gar nicht nötig, denn Sprudel- und Bierflaschen gaben wir an den Laden zurück in dem wir sie gekauft hatten. Von dort gingen sie an den Hersteller, der die Flaschen wusch, sterilisierte und auffüllte, so dass jede Flasche unzählige Male benutzt wurde. Die Milch holten wir beim Milchhändler in unserer eigenen Milchkanne ab. Aber Umweltschutz kannten wir nicht.
Für unsere Gemüseeinkäufe benutzten wir Einkaufsnetze, für den Resteinkauf unsere Einkaufstaschen. Vergaßen wir sie, so packte uns der Händler den Einkauf in braune Papiertüten, die wir zu Hause für viele Zwecke weiterverwendeten, z. B. zum Einpacken der Schulbücher, die uns von der Schule unter der Auflage, dass wir sie gut behandeln, kostenlos zur Verfügung gestellt wurden. Nach Beendigung des Schuljahres wurden sie wieder eingesammelt und in gutem Zustand an den nachfolgenden Jahrgang weitergereicht. Aber Umweltschutz kannten wir nicht.
Damals wuschen wir die Babywindeln, weil es keine Einwegwindeln gab. Wir trockneten die Wäsche nicht in einem Strom fressenden Trockner, sondern mit Wind auf der Wäscheleine. Die Kleidung der Kinder ging stets an die jüngeren Geschwister, denn neue Kinderkleidung konnten wir uns nicht leisten. Aber Umweltschutz kannten wir nicht.
Im Haus hatten wir ein einziges Radio und später einen kleinen Fernseher mit einem Bildschirm in Taschentuchgröße. In der Küche gab es keine elektrischen Maschinen. Alles wurde von Hand geschnitten, geraspelt, geschält. Als Polstermaterial für Päckchen oder Pakete benutzten wir alte Zeitungen, kein Styropor oder Plastik. Der Rasenmäher wurde mit der Hand geschoben, machte keinen Krach und Gestank. Das war unser Fitnesstraining, weshalb wir keine Fitnessstudios mit elektrischen Laufbändern und anderen Energie fressenden Unsinn benötigten. Wir stiegen Treppen hoch, denn Aufzüge oder Rolltreppen gab es nicht so wie heute in jedem Kaufhaus oder Bürogebäude. Wir gingen zu Fuß die paar Schritte zum nächsten Lebensmittelgeschäft und benutzten keine 300 PS starken Geländewagen. Aber Umweltschutz kannten wir nicht.
Damals fuhren unsere Kinder mit dem Bus, der Straßenbahn, dem Fahrrad oder gingen zu Fuß zur Schule. Ein 24-stündiger Taxiservice der Mutter mit einem 50.000 Euro teurem Auto gab es nicht.
Das Wasser tranken wir aus der Leitung und benötigten keine Plastikflaschen. Unsere leeren Schreibfüller wurden wieder mit Tinte gefüllt, anstatt neue zu kaufen. Aber Umweltschutz kannten wir nicht.
Aber bedenken Sie:
Es ist traurig, wenn die junge Generation sich darüber beklagt, wie verschwenderisch wir Alten gelebt haben, nur weil wir keinen Umweltschutz kannten? Glauben Sie, wir Alten benötigen solche Belehrungen? Und dann noch von einem Mädchen, welches mir nicht das passende Wechselgeld geben kann, ohne die elektronische Kasse zu befragen.“
Widerspruch!
Der unbekannte Autor schreibt, er fände es traurig, „…wenn die junge Generation sich darüber beschwert, wie verschwenderisch wir Alten gelebt haben, nur weil wir keinen Umweltschutz kannten.“ Wir Alten hätten solche Belehrungen nicht nötig!
Wirklich nicht? Die aufgeführten Beispiele (Einkaufsnetz, Milchkanne, Stoffwindeln, Handrasenmäher …) wurden doch nicht aus Umweltschutzgründen genutzt, sondern nur so lange, bis wir erfreut zu Neuerungen greifen konnten (Plastiktüte, TetraPack, Pampers, Motormäher …).
Warnungen aus der Wissenschaft zu Umweltschutz, Biodiversitätsverlust, Klimawandel, Intensivlandwirtschaft usw. haben wir und die Volksparteien seit Jahrzehnten geflissentlich überhört.
Erinnern wir uns noch an das Buch der amerikanischen Zoologin Rachel Carson „Der stumme Frühling“ von 1962 (!) über den Einfluss von Pestiziden, den Bericht des ‚Club of Rome‘ „Grenzen des Wachstums“ von 1972, an das Buch des CDU-Bundestagsabgeordneten Herbert Gruhl „Ein Planet wird geplündert“ (Spiegel Bestsellerliste 1975), an das Buch von Hermann Priebe (Prof. für Agrarwesen und Berater der Bundesregierung ) „Die subventionierte Unvernunft – Landwirtschaft und Naturhaushalt“ von 1985?
Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen! Wir konnten alles wissen und sind doch jahrzehntelang einer neoliberalen Ökonomie und Werbung gefolgt, die uns eingetrichtert hat, mehr materieller Besitz macht glücklicher und dafür gingen und gehen wir heute noch bis ans Äußerste.
Hat nicht der griechische Philosoph Epikur vor über 2200 Jahren geschrieben: „Wem genug zu wenig ist, dem ist nichts genug!“
Wir wissen, die Erde wird nicht wachsen, aber unsere Ansprüche wachsen und die Ungerechtigkeit und Ungleichheit wachsen mit. Wie zerbrechlich dieses System ist, sehen wir ansatzweise in den Corona-Zeiten, die uns hoffentlich zu tieferem Nachdenken veranlassen. Unser Wohlstand für alle Menschen gedacht, bräuchte mehr als 3 Erden.
Jeder sieht, das geht nicht! Also sorgen wir ohne Scham dafür, dass einem großen Teil der Menschheit das verwehrt wird.
So hat auch Papst Franziskus im Apostolischen Schreiben ‚Evangelii gaudium‘ (2013, über unser derzeitiges Wirtschaftssystem) und in der Enzyklika ‚Laudato si‘ (2015, Aufforderung zur ökologischen Umkehr) deutlichste Worte gefunden!
Wir sollten aktiv die junge Generation unterstützen, die sich zunehmend bei ‚Fridays for Future‘, Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen engagiert.
Sie brauchen uns und wir Alten haben es nötig!
– Thomas Weber –